Zuhause pflegen bedeutet sich auf sich selbst und den Anderen einlassen

Frau Geierspichler aus Salzburg wurde durch den Schlaganfall ihrer Mutter über Nacht zur Laienpflegenden.
Schlagartig stand sie vor der Herausforderung für Leben und Alltag neue Möglichkeiten zu finden.

Pflegen bedeutet Menschen in alltäglichen Aktivitäten zu unterstützen. Besondere Herausforderung entsteht,
wenn der Kontakt über Sprache und Mimik für Hilfe im Alltag nicht ausreichen. Kontakt über Berührung und Bewegung qualitativ zu gestalten ist keine Selbstverständlichkeit.
Kontaktaufnahme und Beziehung gestalten über Berührung und Bewegung ist der Kern von Kinaesthetics.

Tochter und Betreuer spürten schnell, dass die Hilfestellung für Mutter Harml im Alltag dazu führen kann, dass sie sich (mit)beteiligen, (mit)bewegen
und die Richtung hin zur Selbstständigkeit eingeschlagen wird.
Aber auch wie schnell noch so wohlgemeinte Unterstützung eher blockiert und bleibende Abhängigkeit droht. Das wollte man nicht dem Zufall überlassen und nahm mit einer Kinaesthetics-TrainerIn Kontakt auf.

Frau Geierspichler:
Seit November 2018 nutzen wir Kinaesthetics-Begleitung zuhause mit Trainerin Birgit Haas. Sie kommt aus unserer Region. Sie zeigt uns Ideen um den Alltag zu bewältigen. Mit ihr lernen wir auch unsere Bewegung bewusst zu merken. Das hilft die Ideen selbst abzuwandeln und an die Mutter anzupassen und nicht stur oder rezeptartig abzuspulen. Durch den Schlaganfall meiner Mutter standen wir vor der Herausforderung die Unterstützung und jede alltägliche Aktivität wieder zu erlernen. Wir möchten, dass wir Beide die Bewegung gemeinsam ausführen, Mitbeteiligung und Gesundheit bei uns Beiden gefördert wird.

Wir begannen bei ganz einfachen Bewegungen und in sicheren Situationen.
Bein- und Armbewegungen gemeinsam machen, drehen und bewegen im Bett. Nach ersten Erfolgen wurde die Aktivitäten anspruchsvoller – an den Bettrand oder ans Kopfende kommen, aufsitzen und wieder hinlegen zu erlernen.
Dann ging es darum aus dem Bett zu kommen – an den Bettrand sitzen und auf die Beine zu kommen. Stehen oder ins Sitzen im Rollstuhl, sich waschen, an- und auskleiden. Alle diese Aktivitäten machen wir, wenn wir gesund sind ohne einen Gedanken an das Merkenswerte zu verschwenden.
Das wird erst wichtig in einer Pflegesituation.

Mutter – Mathilda Harml, Betroffene:
• Ich lerne, meine Kräfte so einzusetzen, dass sie produktiv sind und ich mich nicht selbst blockiere.
• Ich lerne zu merken, wo und wieviel Kraft ich einsetze z.B. beim Wegdrücken, um auf die Beine zu kommen …
• Ich spüre meine Bewegung wieder und bleibe beweglich.
• Ich werde immer selbständiger.
• Kinaesthetics ist für alle Betroffenen eine gute Hilfe!

Tochter – Elisabeth Geierspichler, Pflegende Angehörige:
• Meine Mutter führt ihre Aktivitäten mit eigenem, kontrollierten Kraftaufwand aus.
• Unglaublich, was wir gemeinsam entdecken und was bei meiner Mutter nach diesem schweren Schlaganfall noch an Fähigkeiten vorhanden sind.
• Ich bin nur mehr unterstützend tätig, vermeide Blockaden und Abhängigkeit in der Hilfestellung und schone dabei meine Gesundheit.
• Ich finde es faszinierend, wie beweglich meine Mutter ist!
• Kinaesthetics ist für mich ein, nein das „wichtigste“ Training, um die Kräfte richtig einzusetzen und ist somit auch die beste Vorbereitung für weitere Therapien. Das bestätigt mir auch die Physiotherapeutin.
• Ich kann nur sagen, DANKE, dass es Kinaesthetics gibt!

 


 

Picknick auf der Wiese - ein Erfahrungsbericht von Norbert Schwanekamp

Seit mehr als 20 Jahren sitze ich im Rollstuhl und kenne mein Umfeld nur aus der Sicht aus meinem Rollstuhl oder liegend aus meinem Bett heraus. Dann lernte ich eine Kinaesthetics-Trainerin kennen, die mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, mich mal wieder auf dem Boden zu bewegen. Natürlich war ich skeptisch. Wie? Auf dem Boden? Das hat mir noch nie jemand angeboten!

Im Laufe der Zeit, und nachdem ich einige Videos über Kinaesthetics gesehen hatte, gefiel mir der Gedanke immer besser, und eines Nachmittags gingen wir in den Park und probierten es aus. Decken wurden ausgebreitet und dann begleitete sie mich mit einer besonderen Bewegungsart aus meinem Rollstuhl, ohne dass ich mich dabei behindert fühlte. Ich legte mich sofort auf den Rücken und streckte alle Glieder von mir, weil es lange her war, dass ich so viel Platz um mich herum hatte. Sofort wurde ausprobiert, was geht noch und wie geht es am besten. Wenn es nicht ging, war es auch kein Problem, denn ich lag bzw. saß auf dem Boden und es konnte nichts passieren. Danach setzte ich mich mit ihrer Hilfe auf und wir bauten uns mit den mitgebrachten Mobilisationsklötzen einen kleinen Tisch, auf dem ich meine Arme abstützen konnte. Wir tranken Kaffee und aßen ein Stück Kuchen dabei.

Früher habe ich gerne auf dem Bauch liegend geschlafen habe. Nachdem Annette mich bäuchlings auf einen großen Gymnastikball platziert hatte, merkte ich wie eine wohltuende Entspannung durch meinen ganzen Körper ging. Aus dieser Position heraus begleitete sie mich ohne Heben und Tragen auch wieder in meinen Rollstuhl.

Mein erstes Gefühl dazu war: Was ist das für ein Rollstuhl? Das ist doch nicht meiner? Es kam mir so vor, als wenn der Rollstuhl viel höher war und dass ich viel höher sitzen würde als vorher. Dieses Gefühl verschwand aber relativ schnell wieder. Der Nachmittag war eine unwahrscheinlich lehrreiche und schöne Erfahrung für mich, weil ich meine noch  vorhandenen Ressourcen spielend kennen gelernt habe.

Dieser Tag hatte für mich eine hohe Lebensqualität!

 


 

Ein Erfahrungsbericht von Frau Sigrid Graf:

Im Herbst letzten Jahres stürzte mein MS-kranker Partner wiederholt beim Umsetzen aus dem Rollstuhl. Auch brauchte er zunehmend Hilfe beim Umsetzen aus dem Rollstuhl auf die Couch, ins Bett etc., da er kaum noch stehen konnte.

Obschon er nicht sonderlich schwergewichtig ist, stieß ich direkt auf meine Grenzen bei dem Versuch, ihm zu helfen. Solch eine Situation der Hilflosigkeit löst höchste Panik und Verzweiflung aus und zudem auch noch Rückenschmerzen, weil man sich fast automatisch verhebt.

Durch Zufall wurde mir von Kinästhetik berichtet. Bei meinen ersten Internet-Recherchen begriff ich zunächst nicht sehr viel, was Kinästhetik bedeuten mag. Erst Videos lösten bei mir Faszination aus, da ich darin gute Optionen erkannte, meinem Partner zukünftig helfen zu können.

Zum Glück fand sehr zeit- und ortsnah ein Kurs für pflegende Angehörige statt. Die Teilnehmer hatten sehr unterschiedliche Ambitionen für den Besuch des Kurses, was das Ganze aber erst sehr interessant machte. Die Trainerin Edeltraut Döbler verstand es, sofort eine vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen, was sehr wichtig ist, da bei den praktischen Übungen durchaus ein sehr enger Körperkontakt erforderlich ist.

Ihre  Anregung, den Kurs zusammen mit meinem Partner zu besuchen, war überaus hilfreich. Für uns beide war schließlich die Situation noch recht neu, dass er auf einmal Hilfe brauchte. So entsteht recht schnell die Konstellation, dass der pflegende Angehörige ruck zuck immerzu hilft, auch wenn  vielleicht gar keine Hilfe erforderlich ist.

Durch den Kurs habe ich verstärkt begriffen, die Bewegungsautonomie meines Partners zu fördern, anstatt ihm alles abzunehmen.

Zugegebenermaßen hatte ich anfangs und auch während des Kurses häufiger die Erwartung, einfach nur ganz praktische Techniken für diverse Alltagssituationen zu lernen. Ich begriff erst nach und nach, dass es darum geht, Bewegungsabläufe zu begreifen. Wer macht sich schon Gedanken darüber, wie er sich täglich bewegt, wenn man ein gesunder Mensch ist und alles ganz automatisch funktioniert?  Wenn Einschränkungen entstehen, ist es umso wichtiger, ein Bewusstsein dafür zu haben, wie man sich oder andere mobilisieren kann. Es geht darum, Änderungen vorzunehmen in seinem Denken und in dem Bemühen,  seine Körperteile zu nutzen, um Bewegung herzustellen, auch wenn man sich immobil fühlt.

Das mag sich alles recht abstrus anhören, aber ich kann versichern, nach einem Kinästhetikkurs entdeckt man Möglichkeiten, einem bewegungseingeschränkten Menschen zu helfen, ohne zu heben, ohne sich selbst den Rücken kaputtzumachen.

Bei einem Krankenhausaufenthalt meines Partners erlebten wir, dass professionelle Pflegekräfte ihn immer zu zweit aus dem Bett helfen mussten, da es einer alleine nicht schaffte. Es fehlte auch einfache Hilfsmittel wie z.B. einem Rutschbrett. Das kannten die Profis teilweise gar nicht. Ich muss gestehen: Das machte mich ein bisschen stolz, dass ich das als Laie und als Leichtgewicht alleine schaffe.

Als Paar wissen wir es mittlerweile sehr zu schätzen, dass wir beide ZUSAMMEN  für seine Transfers sorgen können. Er kann sich aktiv daran beteiligen, was für ihn als Kranken natürlich wesentlich angenehmer ist, als wenn ihn jemand nur hebt und mir bringt es Erleichterung. Wir sind sehr froh, diese Hilfe bekommen zu haben.

 


 

Viel Gewinn durch einen Kinaesthetics-Grundkurs für pflegende Angehörige
Ulrike Dobiasch, Kiel, ein persönlicher Erfahrungsbericht

„ Ich habe einen  Kinaesthetics-Grundkurs für pflegende Angehörige gemacht, das hat mir echt eine Menge gebracht.“
„Du hast was gemacht?“

Da stand ich nun mit meiner Begeisterung und musste es erklären.

Gar nicht so einfach! Ich sagte, dass ich gelernt hätte meine eigenen Bewegungsabläufe bewusster und effektiver anzubahnen und das Gleiche auch bei meinem Sohn, den ich pflege. Dadurch wurden wir beide entlastet und können jetzt unsere Bewegungs-Potenziale viel besser nutzen.

Angefangen hat meine Begeisterung auf einer Informationsveranstaltung zum Thema Kinaesthetics, die vom Landesverband für körper-und mehrfachbehinderte Menschen  in Schleswig-Holstein organisiert worden war.

In einem sehr geringen Zeitfenster stellten 2 Trainerinnen kurz die Grundprinzipien vor und führten unter Einbeziehung der Besucher vor, wie man Transfersituationen einfacher gestalten kann. Das war zwar kurz, aber schon sehr beeindruckend.

Dann zeigte die eine Trainerin für Infant-Handling noch kurz, wie man klassische Wickel-Situationen nutzen kann, um richtige Bewegungsmuster anzubahnen. Es wurde auch erklärt, warum andere Methoden nicht so günstig sind.

Ich war schwer beeindruckt! Mein Sohn ist allerdings 23 Jahre alt, wiegt 37 Kilo und muss wegen kompletter Inkontinenz auch entsprechend versorgt werden. Offensichtlich hatte ich all die Jahre nicht die ideale Methode verwandt, sehr ernüchternd! Doch ich probierte das Gelernte einfach mal aus.

Was für eine Erleichterung. Die Pflege findet seitdem nur noch über sauber angebahnte  Drehbewegungen im Liegen statt (habe ich im Kurs gelernt), die uns beide körperlich entlasten, nicht so anstrengend bzw. auch weniger schmerzhaft sind und dazu beitragen,  die träge Verdauung in Gang zu halten und Koliken zu reduzieren. Das waren bisher große Probleme in Verbindung mit der fortschreitenden Muskelerkrankung meines Sohnes.

Dieses AHA- Erlebnis brachte mich dazu an dem Kinaesthetics-Grundkurs für pflegende Angehörige, der kostenlos und kassenübergreifend von  der BARMER GEK Krankenkasse angeboten wird, teilzunehmen.  Von jedem einzelnen Kursblock nahm ich wieder eine Anregung mit nach Hause, die ich dann versuchte, in den Alltag einzubringen. Zum Glück gab es immer kleine Wiederholungen zum Vertiefen des Gelernten und theoretisch Erarbeitetem! Natürlich verfällt man oft noch in die alten Muster, doch das eigene Bewusstsein ist geschärft insbesondere dadurch, dass man ja in den praktischen Übungen alles am eigenen Leib erfährt.  Vieles würde einem sonst gar nicht bewusst werden.

So versuche ich jetzt mehr Zeit einzukalkulieren, um meinem Sohn zu ermöglichen, die wenigen vorhandenen Kräfte noch eigenständig zu nutzen, was er sichtlich schätzt. Das erfordert einem natürlich Geduld ab und Zeit ist immer knapp, doch jedes Stück Eigenständigkeit ist besonders für den Gepflegten von großem Wert.

Bei der häuslichen Schulung, die ich im Anschluss an den Grundkurs noch in Anspruch genommen habe, habe ich dann auch noch gelernt, wie man trotz kaum vorhandener Muskelkraft doch zum Beispiel die Stützfunktion der Knochen nutzen kann, um Umlagerungen und Transfers zu erleichtern.

Dadurch kann mein Sohn einen Teil der Bewegung noch eigenständig ausführen und ich muss viel weniger Kraft anwenden.

Ich achte jetzt aufmerksamer auf meine eigenen Bewegungen und nutze Entlastungen zum Beispiel durch den Einsatz der Schaumstoffblöcke, um mich besser zu positionieren. Durch Drehen und Ziehen auf glatten Tüchern lassen sich viele Hebesituationen vermeiden.  Die gesamte Pflege ist jetzt weniger schmerzhaft, da wir gelernt haben, nicht zu ruckartig und zu schnell zu bewegen.

Für meinen Sohn und mich ist das Gelernte ein großer Gewinn. Ich kann jedem pflegenden Angehörigen einen solchen Kurs nur wärmstens empfehlen. Auch der Austausch mit Betroffenen und die zusätzlichen Tipps, die man so erhält, sind von unschätzbarem Wert. So braucht nicht jeder in einer ohnehin belastenden Situation wieder bei Null anfangen. Nicht zu unterschätzen ist auch der Motivationsschub, den man erhält.

 


 

Frau Anna-Maria Unger:

„Dieser Kurs war eine echte Überraschung für mich!

Da pflege ich die eigene Mutter und denke:„Ich gehe mal in diesen Kurs; da lerne ich vielleicht ein paar Handgriffe, um der Mutter hilfreicher sein zu können.“

Stattdessen erfahre ich ganz viel über mich selbst und schärfe meinen Blick auch auf den Nächsten, denke über meine Interaktionen nach, damit auch über mein Leben ...

und damit habe ich bei der Anmeldung nicht gerechnet.“

 

Herr Reinhard A. Unger:

„Als ich von dem Kurs hörte, war mein erster Gedanke, gemeinsam mit meiner Frau Techniken für die Pflege meiner Schwiegermutter zu lernen. Bisher wurde ich als Mann bei der Pflege unter dem Aspekt eingesetzt „wo Kraft zum Heben und Tragen gebraucht wird, muss der Mann dran“.

Aber mit der Anleitung der beiden engagierten Trainer erkannte ich sehr bald, dass dieser Kurs alle Bereiche meines Lebens, aber insbesondere meine Interaktion mit meiner Ehefrau zum Thema hat. Die Sensibilisierung für die Fragen des Raumgebens, des Bewegungstempos und der Beeinflussung von Außen hat für mich nicht nur im Pflegebereich eine fruchtbare Erweiterung auf die eigene Partnerschaft erfahren.“

 

Statement des Ehepaares Unger nach einem Grundkurs Kinaesthetics Pflegende Angehörige.

 


 

Interview mit Frau Petra Trenkle nach einem Aufbaukurs. Frau Trenkle unterstützt seit 7 Jahren einen älteren Herrn in ihrer Nachbarschaft. Kürzlich hatte er seinen Knöchel gebrochen. Dies hat die pflegerische Situation sehr verändert. Zuvor war er relativ mobil, nun benötigt er mehr Bewegungsunterstützung.

Frau Trenkle, Sie haben einen Grundkurs gemacht und nun den Aufbaukurs absolviert. Welche Ideen und Anregungen haben Sie aus dem Kurs mitgenommen, und wie werden Sie diese mit Ihrem Angehörigen nutzen?

Ich hatte mir vor dem Grundkurs vorgestellt, dass ich praktisches Handwerkszeug bekomme, das ich statisch anwenden kann. Ich bin ganz unbedarft hierher gekommen und dachte, ich bekomme so schematisch ein paar Dinge gezeigt und bekomme so und so die Lösung präsentiert.
Die Quintessenz aus meinem Grundkurs war, dass das alles einen tieferen Sinn bekommen hat. Es geht um so viele Feinheiten. Ich habe ein tiefes Verständnis bekommen für meinen eigenen Körper, für meine eigenen Sinne und bin wachsamer und aufmerksamer geworden. Im Aufbaukurs habe ich das jetzt noch verfeinert und weiter entwickelt. Ich finde es eine faszinierende Steigerung und habe für mich die Erfahrung gemacht, dass es von großem Vorteil war, den Aufbaukurs bald nach dem Grundkurs zu machen. So konnte ich gut auf dem Grundwissen aufbauen und mehr noch bei mir selbst über die eigene Bewegung entdecken.

Mich bewegt daran sehr, dass ich nun viel besser mit mir selbst in den Kontakt komme und dadurch kann ich mit meinem Angehörigen, mit meinem Gegenüber auch tiefer in Kontakt kommen. Es geht so feinsinnig ab, es geht nicht um richtig oder falsch. Es geht darum Möglichkeiten, zu entwickeln. Kinaesthetics ist schöpferisch und kreativ. Es gibt nicht nur einige Bewegungsmöglichkeiten, sondern unendlich viele Möglichkeiten. Ich habe sehr viel für mich gelernt.

Meine Idee war ursprünglich, damit kann ich meinem Angehörigen sehr viel Gutes tun. Nun habe ich bemerkt, dass ich nicht nur ihm, sondern vor allem auch mir etwas Gutes tun kann. Es macht mir leichter, auf den Anderen ein zu gehen. Ich habe gelernt, dass ich nicht nur nach mir schauen kann, aber auch nicht nur nach dem Anderen, sondern dass es ein Zusammenspiel ist.
Nur wenn ich mit mir selber rund bin und im Fluss bin, erst dann kann ich mit meinem Gegenüber arbeiten. Was mir hier gezeigt hat, wenn ich an einem Problem hänge, erst mal einen Schritt zurück zu gehen, erst mal schauen, was ist denn da los und erst dann wieder weitermachen. Für mich ist Kinaesthetics zur eigenen Persönlichkeitsarbeit geworden. Es ist bei mir zwischenmenschlich ganz viel passiert, ich beobachte nun viel mehr im Alltag. Der Ansatz ist für mich nun eindeutig geworden, erst bei mir selbst anzufangen. Mit meinem Angehörigen habe ich gelernt, dass ich die Interaktion über die Sinne nun intensiver gestalten kann.
Ich bin im Umgang mit meinem Angehörigen freudiger, feinfühliger und entspannter geworden. Ich habe nun mehr Möglichkeiten, in kann mich auf neue Situationen entspannter einlassen. Ich verurteile mich nicht mehr selbst, dass ich etwas falsch mache, sondern dass es darum geht, viele Möglichkeiten gemeinsam auszuloten. Dadurch nehme ich vieles selbst nicht mehr so persönlich und verurteile auch den anderen nicht mehr, sondern schaue, wie wir beide miteinander in Kontakt kommen können.

Durch den Köchelbruch bei meinem Nachbarn veränderte sich sehr die Bewegungsunterstützung, derer er nun bedurfte. Auf einmal war der Teppich in der Wohnung ein Problem beim Laufen geworden, er stolperte öfters. Da bekam ich meinen „Stopp-spannend-Moment“, wo ich anfangs ganz schön viel Anstrengung bekam und mir nicht mehr so recht zu helfen wusste. Nun habe ich für mich gelernt, dass ich mit dieser Situation anders zu Recht komme. Ich gehe auf ihn ein und wir suchen gemeinsam nach Möglichkeiten.

Die Sinne sind für mich das A und O, das wurde mir im Aufbaukurs nochmals deutlicher. Zuerst bedarf es der Interaktion, das gemeinsame in Kontaktkommen, bevor ich ihn überhaupt unterstütze. Der Aufbaukurs ist nochmals eine Verfeinerung zum Grundkurs. Durch den Grundkurs sind die Grundvoraussetzungen geschaffen und nun konnte ich mich im Aufbaukurs auf alles tiefer einlassen. Auch das Gruppenerlebnis, der Austausch miteinander, das gemeinsame Erarbeiten war für mich ein großes Erlebnis.
Ich werde weiterhin Kinaesthetics in meinen Alltag, in meinem Leben anwenden, neues ausprobieren, Kreationen und Variationen suchen für mich und gemeinsam mit meinem Gegenüber entdecken und ausprobieren.

 


 

Bericht einer Teilnehmerin über einen "Grundkurs Kinaesthetics – Individuelle Bewegungsunterstützung pflegender Angehöriger".

Welche Ideen und Anregungen haben Sie aus dem Kurs mitgenommen und wie werden Sie diese zu Hause nutzen?

Warum sind wir hier? Eine Teilnehmerin pflegt ihren MS-kranken Mann zu Hause und muss sich dem Krankheitsverlauf entsprechend auf wechselnde Situationen einstellen, eine andere besucht häufig ihren pflegebedürftigen Vater in einer anderen Stadt. Ihre Nachbarin betreut ihren demenzerkrankten pflegebedürftigen Vater.

Die Grundhaltung von Kinaesthetics ist: Man wendet sich dem Pflegebedürftigen mit Respekt, Ruhe und der Bereitschaft zu, ihn in seiner noch vorhandenen Bewegungskompetenz zu stärken. Außerdem achtet man auf seine eigene Bewegung und darauf, seiner Gesundheit nicht zu schaden.
Wir erfahren mit dem eigenen Körper, wie es sich anfühlt, auf unterschiedliche Weise bewegt zu werden. Was ist eher unangenehm, welche Art der Bewegung macht mir das Aufstehen vom Stuhl leicht? Was passiert, wenn ich im Pflegebett liege und eine Kursteilnehmerin durch Verschieben von stützenden Keilen meine Lage verändert?

Manches scheint uns schier unvorstellbar: Die zierliche Frau neben mir soll es schaffen, einen großen Mann, liegend im Pflegebett, aufzurichten und in den daneben stehenden Rollstuhl zu setzen? Wie soll das gehen? Kurze Zeit später wissen wir: Es geht! Jeder bekommt ausreichend Zeit, um mit und an einem Kurspartner zu üben; Alle Fragen, die sich ergeben, werden beantwortet, und am Ende weiß jeder: Es funktioniert sehr gut, und zwar mit deutlich weniger Anstrengung als gedacht. Und das ist ja ein zentrales Thema: Die Anstrengung, den Stress beim Pflegen verringern, seine eigene Gesundheit schützen, mit dem Pflegebedürftigen in einen harmonischen Bewegungsablauf kommen. Vieles erinnert daran, wie zwei Tanzende ihre Bewegungen koordinieren, wie sie körpersprachlich aufeinander hören.

An jedem Kursabend können die Teilnehmer berichten, ob sie das Gelernte in ihrem Alltag anwenden konnten und welche Folgen sich daraus ergaben. Das ermöglicht uns ein Lernen auf die persönliche Situation hin und ermutigt, erste Erfahrungen in der Praxis umzusetzen. Und profitiert von diesem "Grundkurs" haben zuletzt nicht nur die Teilnehmer, sondern noch einmal so viele Menschen, nämlich die Pflegebedürftigen, denen sich die Teilnehmer nun mit ganz anderer Sichtweise zuwenden können.

Frau Bernhild Hagemeister

 


 

Interview mit Frau Claudia Adolph nach dem 4. Tag Kinaesthetics Grundkurs für Pflegende Angehörige - Frau Adolph unterstützt und begleitet ihre hochbetagten Eltern

Welche Ideen und Anregungen haben Sie aus dem Kurs mitgenommen und wie werden Sie diese zu Hause nutzen?

Die wichtigste Idee, die mir der Kurs vermittelt hat ist, dass Pflege nach kinästhetischer Vorgehensweise nach den Grundlagen der Bewegung erfolgt, nach Bewegungsmustern und dass ich diese Muster anpassen kann an die individuellen Möglichkeiten, sei es von mir, sei es von meinem Angehörigen, den ich zu pflegen habe.

Dieses Konzept hat dazu geführt, dass ich nicht mehr so eine Angst habe, etwas "richtig" oder "falsch" zu machen. Die bekomme ich persönlich nämlich immer sofort, wenn ich nur ganz bestimmte Techniken anwenden soll, ganz bestimmte Handgriffe, damit es "funktioniert". Wenn es keine Abwandlung geben darf, bekomme ich eine Sperre, habe Angst, dass ich es entweder "richtig" oder "gar nicht" tun kann.

Im Kurs habe ich jetzt gelernt, dass es auf denjenigen ankommt, der gepflegt wird und auf meine eigenen Möglichkeiten. Das führt bei mir zu viel mehr Ruhe, Selbstvertrauen und Zuversicht in eine angemessene Handlungsweise, statt dass ich vor lauter Unsicherheit und Bedenken, etwas "falsch" zu machen, überhaupt nichts mache!
Durch den Kurs habe ich auch erkannt, bin mir darüber bewusst geworden, wie wichtig auch der "menschliche Faktor" ist, wie ich auf den Menschen zugehe, wie ich mit ihm umgehe, wie ich mit ihm rede - dass das genauso wichtig ist wie die Unterstützung, die ich dann gebe.
Das Allerwichtigste ist aber, dass mein Angehöriger durch die kinästhetische Vorgehensweise das Gefühl hat, er kann etwas (teilweise) selbstständig tun, ich zeige ihm lediglich, was er noch kann und er kann vor allem auch selbst entscheiden. Und gleichzeitig auch ich, der ich unterstütze, mich selbstständig, selbstbestimmt und variabel bewegen kann, also von beiden Seiten her die Selbstständigkeit gefördert wird.

 


 

Erst mal wahrnehmen, was im eigenen Körper stattfindet, wenn wir uns bewegen. Welcher Körperteil "geht vor" und gibt Signale an den nächsten, die Bewegung fortzusetzen?
Dann die gewonnenen Erkenntnisse umsetzen, um Menschen, die eingeschränkt sind, bei der Bewegung zu unterstützen.
Bewegungen auszuprobieren langsam werden, entspannen.

Fazit: Anders geht auch.


Frau M.Hombergs

Schriftliches Statement der Teilnehmerin Frau M. Hombergs nach einem Grundkurs Kinaesthetics Pflegende Angehörige, 07.10.2011.

 


 

Nur wenige Stunden nach unseren so lehrreichen Abend durfte unsere Mutter "heimgehen".

Vater war nach diesem ereignisreichen Tag sehr müde und schon ins Bett gegangen. Meine Schwester wollte gerade auch gehen, als wir einen dumpfen Schlag hörten, auf dem Rücken liegend und steif vor Schreck haben wir ihn vorgefunden.

Wir haben dann eine weiche Decke untergelegt, ihn animiert, sich auf alle Viere zu drehen und von dort aus konnte er sich am Bett und zwei Stühlen langsam hochziehen. Er hat 13 Jahre die Mutter gepflegt und ist natürlich traurig nach 60 gemeinsamen Ehejahren.

Meine Schwester war ebenso erstaunt wie ich über die funktionierende Art des Aufstehens. Ihnen an dieser Stelle vielen Dank, dass hier so gut geholfen werden konnte nach dem, was wir am Donnerstag geübt hatten. Dieser Tag, der natürlich im Gedächtnis besonders abgespeichert ist, wird immer auch ein Erinnern an diesen Sturz und das wundersame Aufstehen mit Kinaesthetics sein! Die Beerdigung ist am Dienstag, falls ich schon zurück bin und mir danach ist, bin ich gerne am Mittwoch dabei, um weiter zu üben!

G. Müller

 


 

Sehr geehrter Trainer,
mein mittlerweile 60jähriger Ehegatte erlitt eine Gehirnblutung 4.Grades aufgrund eines Hirnaneurismas. Der Krankheitsverlauf war extrem schwierig und zog einen Klinikaufenthalt von 9 Monaten und 17 Tagen nach sich.

Wie bereits erwähnt, stand bzw. saß ich viele Monate einerseits bangend, andererseits hoffend am Krankenbett meines Mannes. Für mich war die Teilnahme am Kinaesthetics-Kurs der Einstieg zur tatkräftigen Unterstützung meines Mannes. Kinaesthetics eröffnete mir eine ganz neue Sichtweise im Umgang mit meinem erkrankten Mann. Abgesehen davon hat es nicht nur meinem Mann gut getan, dass ich ihn aufgrund der Kinaesthetics-Erfahrungen schon während der Klinkzeit – auch schon in Zeiten, wo er noch vollständig gelähmt war – zu "handeln" wusste (Schutzhosenwechsel, Seitenlagerung, Rollstuhltransfer etc.). Auch mir hat es gut getan, dass ich meinen Mann nicht nur durch meine Anwesenheit, sondern auch tatkräftig bei seiner Genesung unterstützen konnte. Man muss sich vorstellen mein Mann ist 1,85 m groß und wiegt mittlerweile wieder seine 88 kg und ich bin 1,58 m. Mein Rücken ist dank der Kinaesthetics-Erkenntnisse, die ich bei der Kursteilnahme für die Pflege gewonnen habe, auch noch ganz gesund.

Heute ist mein Mann zu Hause und mehr und mehr in der Lage am Alltag teilzunehmen bzw. auch den Alltag mit mir gemeinsam zu leben. Die Pflege kann ich ohne Pflegedienst alleine bewältigen. Er ist mittlerweile in der Lage selbständig zu laufen, kann vorbereitetes Essen alleine essen, kann sich selbständig waschen, mit ganz wenig Hilfe ins Auto ein und aussteigen und als aufmerksamer Beifahrer im Auto mitfahren (da kommt schon mal der Ausspruch: " Rechts ist frei!"), am Rollator ohne fremde Hilfe laufen, beim Kochen mithelfen u. noch vieles mehr. Davon abgesehen stellt sich Tag für Tag in kleinen Schritten immer mehr und neues ein, bzw. kommt wieder zurück. Dass wir heute überhaupt soweit kommen konnten, ist nicht nur Geduldsache gewesen, sondern vor allem der Erkenntnisse und Erfahrungen zu verdanken, die ich bei der Teilnahme am Kinaesthetics.-Kurs unter der fachkundigen Anleitung von Herrn Volker Müller machen durfte, die ich seitdem täglich anwende.

Ich kann nur jedem empfehlen, der einen kranken Angehörigen zu Hause hat: "Nutzen Sie die Möglichkeit der Teilnahme an Kinaesthetics-Kursen. Dies kann Ihnen dauerhaft helfen Ihre erkrankten Angehörigen in der häuslichen Umgebung und ohne fremde Hilfe pflegen zu können bzw. sie schrittweise wieder in den Alltag zurück zu führen".

Hildegard Trömer